Meine Meinung zur Meinungsfreiheit


Ich las gerade den Artikel „Nationale Besonderheiten“ von Peter Mühlbauer auf heise-online. (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32251/1.html). „In Deutschland schätzt man die Meinungsfreiheitsmöglichkeiten im Internet weltweit am niedrigsten ein“ zitiert er eine von der BBC in Auftrag gegebene Studie und führt das unter anderem darauf zurück, dass „sich ein Vorschriftengewirr aus unterschiedlichen Bereichen wie dem Jugendschutz, dem Immaterialgüter- und dem Persönlichkeitsrecht mit großzügigen Abmahnmöglichkeiten, einem fliegendem Gerichtsstand und „Cyber-Patrouillen“ zu einem ausgesprochen dichten Zensurfilz, der nicht nur theoretisch droht, sondern auch praktische Sanktionen nach sich zieht“ in Deutschland existiere.

Ich denke jedoch, dass das für den Einzelnen nicht einmal ein bewusstes noch meinungsbildendes Kriterium ist. (Die einzige rechtliche Frage, die mich in letzter Zeit zum Beispiel in Bezug auf diesen Blog beschäftigt, ist: Muss ich ein Impressum schreiben, oder nicht?! Ich habe mich vorläufig entschieden, der recherchierten Aussage zu glauben, dass laut  § 6 TDG überhaupt keine Impressumspflicht besteht, weil ich das hier ja nicht geschäftsmäßig betreibe.)

Meiner Meinung nach (Oha, ich äußere meine Meinung!) sind die Deutschen allgemein sehr vorsichtig, was die eigene Meinung betrifft bzw. diese zu äußern.

Ich verknüpfe das aber viel mehr mit dem historischen Prozess, den wir in den letzten Jahrzehnten mitgemacht haben. Ich glaube, dass wir aus der Nachkriegsgeschichte gelernt haben, lernen mussten, dass es manchmal sinnvoller ist, seine Meinung für sich zu behalten. Und das nicht einmal aus irgendwelchen vom Staat und Gesetz regulierten Zensurregelungen – sondern vor allem aus sozialen Gesichtspunkten. Erst schrieb Hitler vor, was man sagen und denken sollte, danach folgte die nächste Gehirnwäsche, um eben jene angelernten Denkweisen wieder zu vergessen. Im Osten freilich auf eine noch extremere Art als im Westen, denn dank StaSi hatte man ja noch mehr und bedrohlicheren  Grund zu schweigen.

Wir sind sensibilisiert, wenn es darum geht eigene Gedanken laut auszusprechen. Und unsere Geschichte hängt uns (und ich finde es furchtbar, dass dem so ist) noch immer nach. Mitunter gerechtfertigt, wenn es um neonazistische Gruppen geht, mitunter ist es aber auch absoluter Schwachsinn.

Da kommt wieder eine  Werbekampagne, bei der die Macher vielleicht einfach provozieren wollten oder einfach dumm waren:

Jedem das Seine… seine Schokolade, sein Eis, sein Kaffee, was auch immer…

Drei Worte und schon gibt es großen Tumult. Ignorieren wir mal die frühhistorische Geschichte des Wortes und den Ursprung bei Cicero bzw. Platon, dann kommt man bald darauf, dass dieser Spruch über dem KZ in Buchenwald prangte. Ich weiß es seit meiner Schulzeit, denn ich war dort. Viele aus der Medienbranche scheinen es nicht zu wissen und um ehrlich zu sein: Ich finde das bis zu einem gewissen Grad gut. Bis zu dem Punkt wo ich von einer Werbeagentur sinnvolle Recherche erwarte. Allgemein jedoch finde ich es befreiend, dass im Bewußtsein vieler Menschen solche Dinge nicht mehr verankert sind, dass man Worte „wieder“ gebrauchen „darf“, die erst im Dritten Reich eine fatale Bedeutung bekamen. Wie viele junge Leute und Jugendliche benutzen heute denn den spaßhaften Spruch „Jedem das Seine und mir das Meiste!“? Ganz ehrlich, ich finde es gut, dass man es wieder gebrauchen darf oder viel mehr kann.

Was passiert aber mit einer Werbekampagne? Irgendwer regt sich wegen der historischen Bedeutung der Aussage im Dritten Reich auf und PFLOB Plakate werden überklebt, Anzeigen gestoppt, Spots gecancelt.
Und das meist weniger wegen juristischer Vorgehensweise – eine soziale langt voll und ganz! Man will nämlich weder mit seinem Produkt, noch seiner Marke oder seiner Persönlichkeit dafür einstehen und zwar deshalb nicht, weil es in der Gesellschaft ein schlechtes Bild aufwerfen würde – zumindest in dem Teil der Gesellschaft, der davon Wind bekommt. Die „Identität“ ist bedroht, weil mit dem Spruch vermeintlich eine „Meinung“ (wenn man jetzt streng sein will „Ideologie“) verbunden ist.

Ich vermute, dass die Deutschen allgemein ein Problem mit der Meinungsfreiheit haben und ihre Bedeutung vielleicht auch gar nicht voll erfassen können und dass das in der Geschichte begründet liegt.

Ich schweife ab….. ich wollte auf den Grund eingehen, warum ich persönlich glaube, dass die Deutschen im Internet  die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung am niedrigsten einschätzen. Und ich will den „kleinen Mann“ betrachten, den User –> meinetwegen mich. An mir kann ich es eben doch am besten erklären und das obwohl ich durchaus einen Platz für die freie Meinung hier im Internet sehe (nichts anderes tue ich hier zum Beispiel auf diesem Blog als immer und immer wieder meine Meinungen zu äußern), aber nur unter gewissen Umständen. Ein paar Dinge kann man auch schon aus meinem Artikel „Politisch korrekt im World Wide Web“ herauslesen.

Wir stellen uns tagtäglich nach Außen dar, man ist bemüht, sich bestmöglichst zu verkaufen, sich politisch korrekt zu verkaufen. Wir wollen ein gutes Bild bei unserem Umfeld schaffen. Das heisst nicht, dass man sich verstellt, mitunter aber dass man nur einen gewissen Teil zeigt, das ist in der Realität so und in der virtuellen Realität auch. Ob das nun mit der Geschichte der Nation zu tun hat oder mit der Erziehung, vielleicht auch nur mit dem Selbstbild sei dahin gestellt.

Tatsache ist: Es muss nicht jeder alles wissen.

Zudem : Es heißt immer das Internet vergisst nie. Wenn ich also heute Dinge von mir im Internet lese, die ich vor 4 Jahren geschrieben habe, dann kann ich persönlich mitunter lachen und mir denken „Oh Mann, da hatte ich ja nun mal wirklich keine Ahnung oder mich nicht richtig damit auseinander gesetzt!“ oder erinnere mich anhand von skurrilen Fotos an meine Vergangenheit. So, was würde jetzt aber jemand sagen, der mich kennen lernt, nett findet und dann beispielsweise irgendwelche melancholischen suizidalen Gedichte meiner Pubertät von mir im Internet fände? Oder eine alte Diskussion, in der ich vehement eine Meinung zu einem umstrittenen Thema vertreten habe – unabhängig davon, ob ich diese heute noch habe?
Egal ist dabei ob es sich um einen potenziellen Arbeitgeber oder einen  Privatkontakt handelt. YouTube, MySpace and I will google  your Yahoo! Durchaus möglich, dass es das dann auch schon war, mit dem kennen lernen…

Und mit dieser Aussage verknüpfe ich mal den Ruf den Internets:

Der ist nämlich nicht der Beste! Während ich die Diskussionen um Datenschutz, Schengen usw. interessiert verfolge, habe ich ja immer noch die zuversichtliche Meinung. Dann sollen sie es doch versuchen: Das Internet, die User, die Programmierer, Hacker, Cracker, die Nerds und die Daus werden ihren Weg finden, denn ein so komplexes System kann und wird dauerhaft nicht kontrollierbar sein. Alles hat „Hintertüren“ und  sollte wirklich eine gravierende Beschränkung vorgenommen werden, die Zensur uferlos werden, wirklich irgendwann die „virtuelle“ Freiheit zu sehr beschnitten werden, dann glaube ich, dass es einfach wieder ein Revival der „von der Gesellschaft insgeheim anerkannten Hacker“ geben wird, die das System knacken.

Ich bin also eigentlich ein Internetfreund. Aber auch nur ein User. Der Ruf des Internets ist aber dennoch ruiniert. Was hört man denn vom bösen Internet? Kinderpornographie, Stalking, Datenklau, Viren, Terroristenvideos, Online-Killerspiele… Ganz allgemein gesagt, hat das World Wide Web selten gute Schlagzeilen und wenn fallen diese nicht auf. Gerade das Datenschutzthema wird schnell immer auf das Internet bezogen (Hallo? Den neuen biometrischen Ausweis bekomme ich nicht vom Internet aufgezwungen!). Die „Angst“ wird gesteigert, dass jede Dateneingabe im Internet bedeutet, man würde sein Leben offen legen.

Einen kleinen Punkt, den ich in eigener Sache noch nennen will: Wie man in meinem allerersten Artikel lesen konnte, habe ich auch mehrere Identitäten im Internet und hier habe ich bislang auch meinen realen Namen nicht genannt und ich finde das schön. Warum? Weil diese Anonymität mir die Möglichkeit gibt, zu schreiben, was ich denke ohne dass es gleich auf meine reale Person zurückbezogen wird. Das heisst nicht, dass von diesem Blog niemand in meinem realen Umfeld wüsste – ich will ihm nur nicht allgemein den Stempel meines Namens und meiner Identität geben. Und ich möchte im realen nicht seinen Stempel tragen. Was soll ich sagen… diese Anonymität erlaubt mir Fehler, die ich mir in meiner realen Identität nicht erlauben dürfte, sollte, wollte. Und wenn ich hier in ein paar Jahren wieder meine alten Artikel lesen werde, möchte ich darüber lachen können ohne die „Angst“ zu haben, dass ein potenzieller Arbeitgeber oder Privatkontakt das hier findet und sich ein Urteil über mich im Gesamten bildet ohne mich real zu kennen 😉

Allgemein glaube ich, dass in Deutschland das Internet deshalb kaum als geeignete Plattform für freie Meinungsäußerung angesehen wird weil

a) Herr Mühlbauer natürlich vollkommen Recht hat mit seiner Aussage über den Zensurfilz

aber desweiteren noch folgende Gesichtpunkte beachtet werden sollten

b) unsere Geschichte

c) unser Wunsch nach sozialer Anerkennung

d) die Recherchierbarkeit des Internets

Das sind sicher auch nur einige Punkte, die auch zu beleuchten sind und die mir beim Lesen des Artikels durch den Kopf schossen. Eine wissenschaftliche Arbeit soll das hier ja nicht sein – nur meine Gedanken dazu, warum in Deutschland die Meinungsfreiheit im Internet nicht unbedingt am höchsten hängt.

Ein Gedanke zu “Meine Meinung zur Meinungsfreiheit

  1. Das 10 Jahre ältere Ich liest gerade die Blogbeiträge und amüsiert sich. Es wäre bisher nichts dabei gewesen, für dass ich mich jetzt schämen würde 🙂
    Was aber stimmt: Es ist vergangen. Ich habe mich geändert – und die Welt sich auch. Ich habe inzwischen die ein oder andere Meinung oder Erkenntnis zu dem Geschriebenen. Entsprechend war der Gedankengang durchaus treffend, nicht auf alle Ewigkeit mit vergangenen Meinungen ohne einen eindeutigen Zeitstempel mit Berücksichtigung des Wandels kombiniert sein zu wollen…

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