Bewegte Bilder aus entfernten Welten


Noch besitze ich keine Webcam. Ich werde mir wohl im nächsten Monat eine besorgen.

Meine ganze Familie telefoniert inzwischen über Skype und in Videokonferenzen. Während ich sie alle sehen kann, hülle ich mich bisher in visuelles Schweigen. Allein von mir getippte Worte erscheinen auf den Bildschirmen der anderen,  allein meine Stimme hallt durch die Unweiten des virtuellen Raums.

Ich sehe meine Eltern gemeinsam am Computer sitzen und mir winken,
das Büro meiner einen Schwester und wie sie sich per Video schminkt während wir miteinander reden, weil sie gleich weg muss,
ich sehe den dicken Bauch meiner anderen, schwangeren Schwester und rede mit meiner noch nicht geborenen Nichte. Seit den Hochzeiten im letzten Jahr habe ich sie nicht mehr gesehen und wahrscheinlich werde ich mein neues Familienmitglied auch erst virtuell betrachten können, bevor ich den kleinen Wurm dann auf dem Arm halten kann.
Wir lachen über die skurrilen Funktionen der Webcams, schicken einander Dateien, schneiden Grimassen, unterhalten uns als säßen wir einander gegenüber (was wir ja gewissen Maßen tun), beobachten Gestik und Mimik.

Mit einem Bekannten aus Schulzeiten „videokonferiere“ ich ebenso seit ein paar Tagen. Abends zu müde zum tippen aber doch noch motiviert zur Kommunikation seiend. Da wird die Kamera angelassen und sich weiter unterhalten, während er sich in der Küche etwas kocht oder im Bad schnell duscht. Zu Striptease konnte ich ihn leider noch nicht überreden bevor er duschen geht und werde es mir auch verkneifen, sonst habe ich auch irgendwann eine Kamera und er verlangt Revanche 😉 Immerhin weiß ich inzwischen, dass er unter der Dusche zwar nicht singt, dafür aber pfeift und bekam schon einen Rundgang durch die Wohnung: Einmal Laptop durch alle Zimmer getragen, inklusive kurzer Showeinlage mit umgeworfenem Bier und einem putzenden Mann.

Mich wunderte es selbst, wie gut das mit dem Video klappt, haben wir beide über DSL-Light bzw. UMTS Internet.

Und dennoch animiert es, sich auch eine Webcam zu holen. Den Gesichtsausdruck bei geschriebenem oder gesprochenem Wort zu sehen hat eben wieder eine ganz andere Qualität. Allerdings nimmt es auch ein wenig den Reiz der Verbalomone, der Doppeldeutigkeiten, der Sprachirrungen und -wirrungen, die so manches lustige Missverständnis hervorrufen. Hmmmm vielleicht sollte ich meinen Ex auch zu Videokonferenzen überreden, dann würden die letzten Verbalomone sicher auch bald verloren gehen…

Videotelefonie: Noch mehr Voyeurismus, noch mehr Eintauchen in das Leben anderer, noch mehr Schaufenster in entfernte Welten.

Es gibt Tage, da leide ich darunter, dass die meisten meiner Freunde nicht in meiner Nähe wohnen.

Und es gibt Tage, da macht es gar nichts: Wenn ich mit ihnen lachen und weinen kann, wenn ich sie sehe, mit ihnen spreche, ich Nachrichten erhalte, Fotos, oder mit ihnen per Videokonferenz reden kann, obwohl sie viele Kilometer entfernt sind.

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